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Ein offener Brief an unsere Bundesregierung

Bochum, 20.04.2020

Betrifft: Beschluss der Bundesregierung vom 15.04.2020, Beschränkungen des öffentlichen Lebens zur Eindämmung der COVID19-Epidemie (2020-04-15-beschluss-bund-laender-data.pdf), Auswirkungen auf das Berufsfeld und den Wirtschaftszweig der Erwachsenenbildung

Sehr geehrte Frau Dr. Merkel,
sehr geehrte Mitglieder der Bundesregierung
,

ich möchte Ihnen hier die Auswirkungen des Beschlusses der Bundesregierung vom 15.04.2020 auf das Berufsfeld und den Wirtschaftszweig der Erwachsenenbildung darstellen. Die Auswirkungen des Beschlusses auf diesen Wirtschaftszweig wurden in der Beratung der Bundesregierung und der Regierungschefs der Länder nicht ausreichend berücksichtigt.

Unterschätzt wurde der Umfang des Wirtschaftszweiges und der damit verbundene Schaden, wie auch deren Bedeutung für die weitere Entwicklung des Landes.

Ich möchte Sie darum bitten, den Sachverhalt zu prüfen und sich möglichst schnell für eine Korrektur bzw. eine Weiterentwicklung der Beschlusslage einzusetzen, um weitere hohe Schäden zu vermeiden.

Sachstand

Im Beschluss der Bundesregierung vom 15.04.2020 wird das Verbot der Wahrnehmung von Angeboten von öffentlichen und privaten Bildungseinrichtungen im außerschulischen Betrieb weiterhin aufrechterhalten (2020-04-15-beschluss-bund-laender-data.pdf, Anlage 1, Seite 11, Punkt 6b).

Gleichzeitig sind im Beschluss auch Kindergärten, Schulen und Hochschulen angesprochen (Seite 5, Punkt 8). Hier insb. der Sachverhalt, dass Prüfungen und Prüfungsvorbereitungen ab dem 04.05.2020 wieder stattfinden können. Ebenso sollen in Hochschulen auch Praxisveranstaltungen unter Berücksichtigung von besonderen Hygiene- und Schutzmaßnahmen wieder aufgenommen werden (Seite 5, Punkt 8). Auch in der Pandemie sollen in der Industrie und im Mittelstand ein sicheres Arbeiten möglichst umfassend ermöglicht werden und durch eine entsprechende Gefahrenanalyse und ein Hygienekonzept abgesichert werden (Seite 7, Punkt 13).

Dennoch wird in Anlage 1, Seite 11, Punkt 6b an dem Verbot der Teilnahme an Angeboten von öffentlichen und privaten Bildungseinrichtungen festgehalten.

Berufsfeld und Wirtschaftszweig der Erwachsenenbildung

Das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung (DIE) zählte in seinem Projekt „Weiterbildungskataster“ aus dem Jahr 2008, 25.000 Weiterbildungsanbieter in Deutschland. Hierunter fallen mehrheitlich private Anbieter mit einer überwiegend auf die berufliche Weiterbildung ausgerichteten Angebotsstruktur [1]. Eine aktuellere, belastbare Vollerhebung zur Frage der Anzahl von Weiterbildungsorganisationen im Bereich der Erwachsenenbildung in Deutschland existiert heute auffindbar nicht. Wird das Jahr 2004 in das Jahr 2020 hochgerechnet, so kann heute von mehr als 30.000 Weiterbildungsanbietern ausgegangen werden [1].

Die durchschnittlichen, individuellen Investitionen für die berufliche Weiterbildung wurden vom Bundesinstitut für Berufsbildung im Jahr 2015 auf 17,8 Mrd. Euro pro Jahr geschätzt [2]. Die Gesamtaufwendungen für berufliche Weiterbildung gehen über diesen Betrag weit hinaus und wurden bereits im Jahr 2004 vom Bundesinstitut für Berufsbildung auf 35 Mrd. Euro geschätzt [3].

Im Berufsverband der Trainer, Berater und Coaches (BDVT e.V.) sind heute über 90.000 freiberuflich tätige Personen im Bereich der Erwachsenenbildung organisiert. Die tatsächlich in diesem Berufszweig tätigen Personen wird deutlich höher liegen (www.bdvt.de).

Das Statistische Bundesamt zählt 2018, 7,1 Millionen Teilnehmer in der beruflichen Weiterbildung von Erwerbspersonen [4]. Das Interesse der Bevölkerung an beruflicher Weiterbildung geht mit 31 Millionen Personen darüber weit hinaus [5].

Bereits jetzt profitieren 71% der Unternehmen mit spezifischem Fachkräftemangel und 60% der Betriebe mit hoher Innovationsaktivität von beruflichen Weiterbildungen [6]. Wie die aktuelle CoronaKrise verdeutlicht, werden auch in Zukunft wandelnde Anforderungen und Qualifikationsbedarfe, professionelle, differenzierte und zielgerichtete Angebote, insbesondere für den Bereich der Handhabung komplexer und chaotischer Situationen, wie hier die Krise, durch die agilen Ansäte des Managements, der beruflichen Weiterbildung benötigt.

Situation vor Ort in öffentlichen und privaten Bildungseinrichtungen

Im Bereich der Erwachsenenbildung wurden durch den Shutdown zahlreiche Ausbildungsgänge unterbrochen und ebenso Prüfungen, wie z. B. Zertifizierungsprüfungen abgesagt bzw. ausgesetzt. Dies weiterhin auf unbestimmte Zeit auszusetzen, stellt für die beteiligten Organisationen aber insb. für die betroffenen Teilnehmenden an diesen Veranstaltungen, analog zu den Abiturienten und Studierenden, eine Belastung dar.

Bei der Durchführung von Lehrveranstaltungen und Prüfungen, im Bereich der öffentlichen und privaten Bildungseinrichtungen, ist es selbstverständlich ebenso möglich, eine Gefahrenanalyse durchzuführen und ein Hygienekonzept zu entwerfen, dass den im Beschluss der Bundesregierung geforderten Anforderungen genügt.

Diese sind:

• Mindestabstand von 1,5 Meter (Beschluss Bundesregierung, Seite 2, Punkt 2)

• Tragen von (nicht-medizinischen) Alltagsmasken oder Community-Masken in Bereichen, in denen der Mindestabstand regelhaft nicht gewährleistet werden kann (Beschluss Bundesregierung, Seite 4, Punkt 6)

• Im Beschluss sind Kindergärten, Schulen und Hochschulen angesprochen (Seite 5, Punkt 8). Hier insb. der Sachverhalt, dass Prüfungen und Prüfungsvorbereitungen ab dem 04.05.2020 wieder stattfinden können. Ebenso sollen in Hochschulen auch Praxisveranstaltungen unter Berücksichtigung von besonderen Hygiene- und Schutzmaßnahmen wieder aufgenommen werden (Beschluss Bundesregierung, Seite 5, Punkt 8).

• Auch in der Pandemie sollen in der Industrie und im Mittelstand ein sicheres Arbeiten möglichst umfassend durch eine entsprechende Gefahrenanalyse und ein Hygienekonzept ermöglicht werden (Beschluss Bundesregierung, Seite 7, Punkt 13).

Die Voraussetzungen, diese Anforderungen zu erfüllen, sind im Bereich der öffentlichen und privaten Bildungseinrichtungen im Regelfall gegeben oder sogar besser gegeben als in Schulen und Universitäten. Hier wird im Regelfall in kleinen Gruppen trainiert und auch geprüft. Dies ist in großen Räumen möglich.

Es bleibt daher unverständlich, dass die Bundesregierung in ihrem Beschluss zwar Kindergärten, Schulen und Hochschulen die Öffnung ab dem 04.05.2020 ermöglichen will (Beschluss Bundesregierung, Seite 5, Punkt 8) und bereits jetzt dazu aufruft, entsprechende Vorbereitungsmaßnahmen zu treffen. Dass aber die Bundesregierung in Anlage 1 des Beschlusses (Seite 11, Punkt 6b) beim Verbot von Zusammenkünften bei Angeboten in öffentlichen und privaten Bildungseinrichtungen bleibt.

Bitte prüfen Sie den Sachverhalt und setzen Sie sich für eine möglichst schnelle Korrektur bzw. eine Weiterentwicklung der Beschlusslage ein.

Sollte es bei dem Verbot bleiben, möchte ich darauf hinweisen, dass die wirtschaftliche Situation bei den o.a. 30.000 Bildungseinrichtungen sich aktuell ebenso schwierig darstellt, wie in allen anderen betroffenen Branchen. Auch hier besteht bei den Organisationen, wie auch z. B. im Gastgewerbe oder in der Hotelbranche, die Gefahr von Insolvenzen.

Die Lockerung des Insolvenzrechts schafft hier keinerlei Abhilfe. Sie verlängert zwar die Anmeldefrist, ändert aber dennoch nichts an dem Zeitpunkt des Eintretens von Insolvenzen. Eine einmal insolvente Bildungseinrichtung wird ihren Betrieb auch nach Corona nicht fortsetzen können.

Zudem muss dargestellt werden, dass mit Blick auf die Kostenstrukturen im Bereich der Bildungseinrichtungen die beschlossene „Soforthilfe“ nicht die entstandenen und weiter entstehenden Schäden tragen wird, sondern, dass Schäden, aus heutiger Sicht, allein durch die Rücklagen der Bildungseinrichtungen zu tragen sind.

Neben den bisher durch die Bundesregierung und durch die Länder entwickelten und vorgeschlagenen Maßnahmen, wie z. B. Steuerstundung, Kurzarbeit, Soforthilfe und KfW-Kredite, werden für das Berufsfeld und den Wirtschaftszweig der Erwachsenenbildung ebenso weitere Maßnahmen erforderlich werden. Wie dies gehen kann, zeigt das Beispiel des Bundesministers Jens Spahn, der einen Rettungsschirm für Zahnärzte und Therapeuten plant [7].

Eine bessere und günstigere Möglichkeit, Schäden an Leib, Leben und Gesundheit zu vermeiden, die Pandemie einzudämmen und ebenso, wie hier beispielhaft aufgeführt, Schäden in der Wirtschaft zu vermeiden, bestünde darin, die Anforderungen der „sozialen Distanzierung“ in jeweils differenzierterer, angemessenerer und adäquaterer Weise in den jeweiligen Branchen, in Bezug auf örtliche und regionale Besonderheiten und auf den Einzelfall bezogen, umzusetzen.

Im Beschluss der Bundesregierung wurden die hier dargestellten Sachverhalte nicht ausreichend berücksichtigt.

In der Hoffnung auf ein umsichtiges und differenzierteres Krisenmanagement in der Politik.

Hochachtungsvoll
Andreas Frick
Geschäftsführer Projektforum Rhein Ruhr GmbH
Bochum, 20.04.2020

Quellenangaben

[1] DIE, Deutsches Institut für Erwachsenenbildung, 2008, W131700, Ergebnisbericht Projekt Weiterbildungskataster 2008. https://www.die-bonn.de/doks/dietrich0803.pdf

[2] Bundesinstitut für Berufsbildung, https://www.bibb.de/de/1661.php

[3] Bundesinstitut für Berufsbildung, BIBB-Publikationen Periodika und Reihen Fachbeiträge im Internet Berufliche Weiterbildung in Deutschland, https://www.bibb.de/de/16624.php

[4] Statistisches Bundesamt, https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/BildungForschung-Kultur/Weiterbildung/Tabellen/weiterbildungepinsg.html;jsessionid=EA1EF57A88F8050A8D4A0BFD30D18CCD.internet8732

[5] Statistika: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/170923/umfrage/interesse-an-beruflicherweiterbildung

[6] Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF), 2018, Bildung in Deutschland 2018, https://www.bildungsbericht.de/de/bildungsberichte-seit-2006/bildungsbericht-2018/pdfbildungsbericht-2018/bildungsbericht-2018.pdf

[7] Tagesschau, 11.04.2020, 11:10, Hilfen für Zahnärzte und Therapeuten: https://www.tagesschau.de/inland/spahn-hilfen-101.html

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